Bevor meine Großeltern hochbetagt starben, 1993 und 1994, da verstanden sie die Welt nicht mehr. Plötzlich war alles anders geworden. Anderes Geld, neue Verträge, der kleine Laden, in dem sie ein Leben lang eingekauft hatten, schloss für immer. Ich konnte es ihnen nicht erklären, denn ich wusste auch nicht, was kommt.
Jetzt werden meine Eltern bald sterben. Auch sie verstehen die Welt nicht mehr. Die Bänke zum Ausruhen sind abgesperrt. Durch Masken genuschelte Auskünfte verstehen sie nicht. Sie müssen Zettel ausfüllen oder Bescheinigungen vorlegen, bevor sie eine Tasse Kaffee irgendwo bekommen. Ich kann es ihnen nicht erklären, denn ich weiß wieder nicht, was noch kommt.
Begegnungen
Auf zur Patenpuppe
Wie schön, man lud mich ein, meine Patenpuppe zu besuchen. Das sollte nun mein Kultur-Neustart sein. Ich erzählte es allen, die es hören wollten oder auch nicht. Meine beste Freundin zog mit. Sonntag Vormittag mit Termin angekommen, bogen wir voller Übermut in den Theaterbereich ab. Fröhlich giggernd schauten wir uns die neu gestaltete Decke im Foyer an. Endlich wieder eine Kulturstätte betreten…!
Ohne Würstchen und Limo
ein Mond so rund und schön erhellt die nacht. riesige kranbauten zerschneiden den Himmel vor meinem fenster. tags standen hunderte schaulustiger menschen hier, um zu sehen, wie das gigantisch tierisch anmutende gestell, drei von fünf Bauelemente, durch den Himmel schwenkte, in dem jetzt frau luna thront. ein unterhaltsames schauspiel ohne eintritt und personal. lange haben menschen fasziniert eng gedrängt davor gestanden. niemand dachte scheinbar an maske und abstand. einfach so stehen und in gemeinschaft gucken ohne würstchen und limo, ohne aufsicht. einfach so und gucken, fotografieren. wahrscheinlich die vorstellung von dem fertigen bauwerk vor augen, etwas im hinterstübchen, dass am ende alles gut sein wird. das in diesen zeiten! irgendwie beruhigt das mein gemüt. und mit diesen paar gedanken, ist das licht zurück in meinen mondbesetzten himmel und müdigkeit erinnert an den willen zu schlafen.
Ein Leben ohne Theater ist möglich
Seitdem ich ungefähr 12 bin, gehe ich ins Theater. In den vergangenen ungefähr 45 Jahren gab es keinen Monat, in dem ich nicht ein Theater, ein Konzert, eine Ausstellung besucht hätte. In manchen Wochen mehrfach, an einzelnen Tagen ebenso.
Nun habe ich so viel gesehen und erlebt, da wird es auch mal eine Weile ohne gehen. Dachte ich zu Beginn des Verbotes. Eine leise Langeweile zog sich durch die Winterabende bis ins Frühjahr hinein.
Das wird die Wahrheit sein
Es fällt mir auf, das ich nicht weiß, an wen ich schreibe, für mich ja:
Nach 207 Tagen nicht spielen ist nun heute der große Tag der Erlösung. 50 Gäste GGG, getestet, genesen, geimpft, waren heute hier.
Wir haben die oldscool Komik vom Valentin gebraucht und das ging gut. Aber bei 13 grad sitzt es sich nicht gemütlich im Garten also waren wir um 23.40 Uhr leergefegt. Zurück blieb ich mit meinen Fragen. Warum hat mir von den Kollegen niemand gedankt das wir überlebt haben. In aller Augen nicht der Rede wert. Das wird die Wahrheit sein!
Stüüürmüsch
Stüüürmüsch!
Hatten einen runden Tag mit einer Rundreise. Der Liebste und ich im Auto. Der Himmel hing tief über dem weiten Land. Brandenburgischer Sand wehte mit den Böhen von der ungeschützten Ackerkrume hinweg. Schade. Gelbbraun diesige Horizonte. Das aber erst auf Rückfahrt. Ansonsten sanfte Hügel und Blaubeerwälder wunderbar. Ein paar richtige Störche stelzten durch wässrige Wiesen. Kraniche, vom Wind gestrubbelt, standen auf Feldern. Einmal lief uns ein großer Rehbock mit flaumfellbesetztem Gehörn fast vors Auto. Adrenalihihin zingerte durch unsere Körper.
Zur Belohnung ein Gummibärchen
Heute früh bekam ich eine SMS von meiner guten Freundin. Ich schreibe „gute Freundin“, denn sie ist nicht nur eine Person, die ich sehr schätze und die mir nahe steht, sondern ist im im reinen Wortsinn ein gute Freundin. Eine Bilderbuchfreundin, wie aus Astrid Lindgrens Feder entsprungen, sie schickt mir Briefe und Postkarten, fügt lustige Tattoos für die Kinder bei, stellt mir etwas zu Essen aufs Fensterbrett (weil sie weiß, wenn es mir nicht gut geht und sie auch weiß, dass ich dann meine Ruhe brauche), schenkt MIR zum Geburtstag meiner Tochter ein Buch, feiert die schönsten Geburtstagsfeiern, bei denen sie all ihre Freunde verwöhnen lässt.
Suppentheater
Ein bisschen erinnert uns diese Idee an den Adventskoffer, den wir in diesem Jahr in unserer Gemeinde täglich weitergereicht haben. Darin waren Maria, Josef, ein Esel und ein Reisetagebuch. Heiligabend kam dann der Koffer im Pfarrhaus an. Am 2. Weihnachtsfeiertag standen der Koffer und das Reisetagebuch im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Es war ein riesiger Schatz – wir haben viel über die Gedanken der verschiedenen Menschen aus dem Reisetagebuch erfahren.
Déja vu – ein Jahr später
Neulich schickte mir mein Vater einen Link. Er habe sich lange mit seiner Schwester unterhalten. Sie seien beide entsetzt, dass Bill Gates die Erde durch Impfungen gegen das Coronavirus entvölkern wolle. Angefügt ein Artikel (oh, ich sehe gerade, er wurde mittlerweile auf der „Nachrichtenseite“ gelöscht), Überschrift in Großbuchstaben, dekoriert mit zig Ausrufezeichen – vortreffliche journalistische Qualitätsware also… Ich quälte mich durch die ersten Zeilen. Bill Gates habe in seinem TED-Talk 2010 schon verkündet, er wolle die Zahl der Menschen auf der Welt dezimieren. Uff.
Ich lieb’dich, Mama
Eben zitierte mich mein dreijähriges Kind in unerbittlichstem Militärton zu sich. Es müsse „kacken“. Wir eilten zur Toilette. Als es auf dem Töpfchen saß und schwer mit der vor ihm liegenden Aufgabe beschäftigt war, sah es mich halb flehend, halb verliebt an und sagte „Ich lieb’dich, Mama“.
Irgendwie eine schöne Allegorie für diese Zeit. Auch wenn alles scheiße ist, halten wir zusammen. So, oder irgendetwas ähnlich pathetisches.