Impressionen

Nachteule

Wie lange gilt diese Ausgangssperre nun schon? Eine Woche? Zwei? Oder nur drei Tage? 

Ich habe mich jedenfalls schon dran gewöhnt. Ich habe mich nicht nur dran gewöhnt, nein, ich habe mich gut damit arrangiert, ich fühle mich wohl damit, mir tut die Struktur, die sie meinem Leben – unseren Familienleben – aufzwingt erstaunlich gut. Kein Gefühl, irgendetwas zu verpassen. Der Mann ist pünktlich zu Hause. Keine blöden Überraschungen mehr. 

Und ich erschrecke mich über meine Gedanken. 

Seit dem das Wort „Ausgangssperre“ durch die Medien geistert, es überhaupt erst in meinen aktiven Wortschatz übergegangen ist, löste es Beklemmung aus. Schockstarre. Feuchte Augen. Angst. 

In den letzten Jahren war ich nicht häufig nach 22 Uhr draußen, obwohl ich eigentlich eine Nachteule bin – zu müde, zu viel Alltag – und im letzten Jahr schon gar nicht. Abends raus gegangen bin ich nur noch, wenn es nicht mehr anders ging. Wenn Freunde Trost brauchten oder ich sichergehen musste, dass ich zu Hause nicht durchdrehe und aus Versehen jemanden erdrossele. 

Mit der Verkündung der Ausgangssperre wurde mir meine eigene persönliche Notbremse verwehrt. 

Dass ich mich so schnell arrangiert habe, erschreckt mich zutiefst. Woran könnte ich mich denn noch so gewöhnen? Bei all den hellblauen Wahlplakaten, die die Stadt verschandeln, bei den Umfragewerten, die diese (verfickte) AfD einfährt, muss ich mir diese Frage wirklich stellen. Momentan darf gar kein Theater gespielt werden. Zukünftig darf vielleicht nur noch ein vorgegebener patriotischer Kanon auf den Bühnen stattfinden? Mit Bildern aus Flüchtlingsunterkünften auf Mittelmeerinseln muss man sich nur am Rande beschäftigen, weil wir hier ja auch handfeste Probleme haben. Was, wenn man diese Bilder bald gar nicht mehr zu Gesicht bekommt? Viele Menschen beklagen eingeschränkte Meinungsfreiheit. Was, wenn man wirklich bald nicht mehr sagen kann, was man denkt? 

Und wie geht es anderen, die nachts allein sein müssen? Oder denen, die nachts nicht allein sein können, weil sie in einer 70qm-Wohnung mit der Großfamilie hausen? 

Wenn es wenigstens wissenschaftliche Zahlen gäbe, die den Nutzen dieser Ausgangssperre legitimieren würden! 

Wenn ich wieder Kraft habe, rege ich mich auf. 

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